LSGL 23: Synchrone Analyse als Fenster zur Diachronie

Artikel-Nr.: ISBN 9783895864643
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Synchrone Analyse als Fenster zur Diachronie

Die Grammatikalisierung von werden + Infinitiv

Sabine Krämer
Humboldt-Universität zu Berlin

Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur aktuellen, innerhalb der linguistischen Forschung zu verzeichnenden Tendenz, die Rekonstruktion diachroner Entwicklungsabläufe durch synchron erprobte Analyseinstrumentarien zu fundieren. Anhand der Konstruktion werden + Infinitiv wird im Detail herausgearbeitet, inwiefern die Untersuchung von Grammatikalisierungsprozessen, die notwendigerweise nur retrospektiv in den Blick genommen werden können, auf Ergebnisse der synchronen Linguistik angewiesen ist. Dies betrifft zum einen ein angemessenes Repräsentationsformat, zum anderen eine klare Explikation des Ist-Zustands als Voraussetzung für die sprachhistorische Rekonstruktion. Diese methodische Vorgehensweise unterscheidet die vorliegende Arbeit von den bisherigen Untersuchungen zu diesem Thema und macht gleichzeitig transparent, in welcher Weise diese revisionsbedürftig sind.

Die Untersuchungsergebnisse lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: Den beiden Lesarten der Konstruktion werden + Infinitiv liegen synchron zwei unterschiedliche syntaktische Strukturen zugrunde, wobei werden in einer jeweils anderen funktionalen Projektion lokalisiert ist. Darüber hinaus unterscheiden sich Beitrag und syntaktische Position von modalem werden – entgegen bisher vorliegender Analysen – von denen der Modalverben müssen und können in ihren epistemischen Lesarten. Diachron entwickelt sich die futurische Konstruktion werden + Infinitiv durch Grammatikalisierung der mhd. Kopula-Konstruktion werden + Partizip Präsens bei präsentischer Markierung der Kopula. Die futurische Konstruktion ist ihrerseits Grammatikalisierungsquelle für die modale Konstruktion werden + Infinitiv. Die fortschreitende Grammatikalisierung von werden lässt sich somit als wiederholte Aufwärts-Reanalyse, d.h. als Aufstieg in eine jeweils höhere funktionale Projektion, rekonstruieren.

ISBN 9783895864643. LINCOM Studien zu Germanistik 23. 160pp. 2005.

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